Vor 20 Jahren:
Frauen-WM USA 2003: Europameister Deutschland wird auch Weltmeister
Nach 3 klaren Siegen in der Vorrunde (4:1 gegen Kanada, 3:0 gegen Japan, 6:1 gegen Argentinien), einem 7:1 gegen Russland im Viertelfinale sowie einem 3:0 gegen Titelverteidiger USA im Halbfinale steht die deutsche Frauennationalelf am 12. Oktober 2003 im WM-Finale, das vor 26.000 Zuschauern in Carson/Kalifornien stattfindet. Gegner sind die Schwedinnen, die im Halbfinale Kanada ausgeschaltet haben. Die deutsche Mannschaft tut sich in der ersten Hälfte besonders im Aufbauspiel sehr schwer, so dass die in der 41. Minute durch Hanna Ljungberg erzielte schwedische Führung nicht unverdient ist.
Nach der Pause kommen die deutschen Frauen gleich besser ins Spiel und schaffen in der 46. Minute durch Maren Meinert den Ausgleich (Vorlage: Birgit Prinz). Trotz weiterer Chancen – u. a. durch Pia Wunderlich (62. Minute) und Maren Meinert (74. Minute) – bleibt es bis zum Ende der regulären Spielzeit beim 1:1-Unentschieden. Gemäß den damaligen Regeln folgt eine Verlängerung, in der das erste Tor – dass sogenannte „Golden Goal“ – die Entscheidung bringt. Dieses „Golden Goal“ fällt in der 98. Minute. Torschützin ist die in der 88. Minute für Pia Wunderlich eingewechselte Nia Künzer, die eine wunderbar getimte Freistoßflanke von Renate Lingor mit einem perfekten Kopfball zum Siegtor für die deutschen Frauen veredelt, die damit erstmals Weltmeisterinnen sind.
Nia Künzers Golden Goal wählt man in Deutschland zum „Tor des Monats“ und später auch zum „Tor des Jahres“. Birgit Prinz wird zur besten Spielerin des Turniers gekürt und gleichzeitig mit 7 Treffern Torschützenkönigin, später wird sie auch noch „Weltfußballerin des Jahres 2003“. Der erste WM-Titel der deutschen Frauen beeindruckt auch die Sportjournalisten in Deutschland: sie zeichnen die Weltmeisterinnen mit dem Titel „Mannschaft des Jahres 2003“ aus.
Die deutsche Final-Aufstellung: Silke Rottenberg (FCR 2001 Duisburg), Kerstin Stegemann (Heike Rheine), Ariane Hingst (Turbine Potsdam), Sandra Minnert (1. FFC Frankfurt), Stefanie Gottschlich (VfL Wolfsburg), Kerstin Garefrekes (Heike Rheine) [Martina Müller (SC Bad Neuenahr)], Bettina Wiegmann (FFC Brauweiler Pulheim), Renate Lingor (1. FFC Frankfurt), Pia Wunderlich (1. FFC Frankfurt) [Nia Künzer (1. FFC Frankfurt)], Maren Meinert (Boston Breakers), Birgit Prinz (1. FFC Frankfurt), Bundestrainerin: Tina Theune-Meyer
Vor 100 Jahren:
Bernd Trautmann, ManCity-Torhüterlegende, in Bremen geboren
Am 22. Oktober 1923 wird er im Bremer Arbeiterviertel Walle geboren, nun jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal: Bernhard Trautmann, den in der Heimat alle „Berni“ oder auch „Bernd“ nennen, später in England jedoch „Bert“. Schon früh zeigt sich Bernd Trautmanns große sportliche Begabung. Er spielt ab 1931 bei TuRa Bremen leidenschaftlich Fußball, aber auch Völkerball, Handball und Leichtathletik liegen ihm. Zu Beginn der NS-Zeit wird er Mitglied des „Jungvolks“ und anschließend der „HJ“ (Hitlerjugend). Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, die die Nazis zu Propagandazwecken missbrauchen, verfolgt der junge Bernd begeistert. Nach einem sogenannten „Landjahr“ in Schlesien beginnt er Anfang 1939 eine Ausbildung zum Automechaniker. Ein Jahr nach Beginn des 2. Weltkriegs, mit 17 Jahren, meldet sich Bernd Trautmann freiwillig zur Luftwaffe, ab Mitte 1941 kommt er an der Ostfront zum Einsatz. Er wird als Fallschirmjäger eingesetzt, im Verlauf des Krieges mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet und später an die Westfront verlegt.
Im März 1945 nehmen ihn die Briten gefangen und verbringen ihn ins Kriegsgefangenenlager Ashton-in-Makerfield in England. Dort vertreiben sich die Gefangenen die freie Zeit gern mit Fußball, so auch Bernd Trautmann. Als bei einem Spiel ein Torhüter fehlt, übernimmt Trautmann diese Position und erweist sich als Naturtalent. Sein Können als Torwart veranlasst den Amateurverein St. Helens Town AFC zur Verpflichtung Trautmanns. Aus seinem Vornamen machen die Engländer „Bert“, weil sie Bernd nicht aussprechen können. 1949 nimmt Bernd Trautmann ein Angebot des Erstligisten Manchester City an, dessen Fans zunächst alles andere als begeistert sind von der Verpflichtung eines Deutschen, der nur wenige Jahre zuvor noch für Hitlers Armee gegen die Briten gekämpft hat. Es kommt zu Unmutsbekundungen und Protesten von City-Anhängern gegen Trautmann. Ausgerechnet der Rabbiner von Manchester, Alexander Altmann – selbst aus Nazi-Deutschland vertrieben -, besänftigt die wütenden City-Fans. Beim ersten Auswärtsspiel als ManCity-Torhüter in Fulham, das schwer unter deutschen Bombardierungen gelitten hat, wird Trautmann als Kraut und Nazi beschimpft, da er jedoch eine hervorragende Leistung im Manchester-Tor abliefert (die „Cityzens“ unterliegen beim hohen Favoriten Fulham dank der zahlreichen Rettungstaten Trautmanns nur denkbar knapp mit 0:1) und sich vorbildlich verhält, applaudieren ihm nach dem Schlusspfiff nicht nur die City-Fans, sondern auch die Spieler und die Anhänger des FC Fulham. „Bert“ Trautmann wird unangefochtener Stammtorwart bei ManCity und durch seine überragenden und konstanten Leistungen eigentlich auch ein Kandidat für die deutsche Nationalmannschaft.
Aber beim DFB werden damals im Ausland spielende „Legionäre“ nicht berücksichtigt. 1952 liebäugelt Trautmann deshalb zeitweise mit einem Wechsel zurück nach Deutschland (Schalke 04 zeigt Interesse), aber man kann sich hinsichtlich der Ablösesumme nicht einigen. Bis heute unvergessen ist in England das FA-Cup-Endspiel des Jahres 1956, in dem „Bert“ Trautmanns ManCity auf Birmingham City trifft. Nachdem man 1955 das Finale gegen Newcastle United mit 1:3 verlor, läuft es in diesem Jahr besser. Die Cityzens führen mit 3:1, als sich in der 75. Spielminute eine folgenschwere Szene ereignet.
„Bert“ Trautmann, der zuvor schon zu Englands Fußballer des Jahres 1956 gewählt worden ist, wirft sich bei einem Angriff des Birmingham City FC in gewohnt mutiger Manier in eine flache Hereingabe vor den Fünfmeterraum, dabei prallt er mit dem auf ihn zu stürmenden Birmingham-Stürmer Peter Murphy zusammen, der ihn mit dem Knie heftig im Nacken trifft. Trautmann ist schwer angeschlagen, da aber Auswechslungen noch nicht erlaubt sind, bleibt er auf dem Feld. Er rettet in der Schlussviertelstunde trotz seiner Verletzung noch mehrfach gegen Birmingham-Angreifer, bevor der Schlusspfiff ertönt und Manchester City als neuer englischer Cup-Sieger gefeiert wird. Erst drei Tage nach dem Spiel ergibt eine Röntgenuntersuchung, dass „Bert“ Trautmann sich bei dem Zusammenstoß mit Murphy einen Genickbruch zugezogen und 5 Halswirbel ausgerenkt hat. Diese Verletzung hätte unter unglücklichen Umständen tödlich enden können.
Trautmann muss nun fünf Monate vom Kopf bis zu den Hüften in Gips eingehüllt verbringen. Nach seiner Genesung spielt er mit einer Schutzkappe. Bis 1964 ist Bernd Trautmann noch für ManCity aktiv, dann wird er nach 15 Jahren und 545 Spielen mit einem Abschiedsspiel vor ausverkauftem Haus gewürdigt. Bobby Charlton (1966 Weltmeister und Europas Fußballer des Jahres) bezeichnet ihn als „einen der größten Torhüter aller Zeiten“. Bis heute hat er in England Legenden-Status, was sich in seiner Aufnahme in den Kreis der „Fußball-Legenden“ der englischen Fußball-Liga (2002) und in die „English Football Hall of Fame“ (2005) widerspiegelt. Bei einer 2007 durchgeführten Wahl der besten ManCity Spieler aller Zeiten belegt „Bert“ Trautmann Platz zwei. [Weitere Ehrungen: Bundesverdienstkreuz (1997), Ernennung zum „Honorary Officer of the Most Excellent Order of the British Empire“ (2004) und Aufnahme in die „Hall Of Fame des Deutschen Sports“ (2011)]. Bernd Trautmann arbeitet nach seiner aktiven Karriere als Trainer in England, Deutschland und 6 weiteren Ländern. Am 19. Juli 2013 – drei Monate vor seinem 90. Geburtstag – stirbt Bernd Trautmann in seinem Haus in La Llosa/Spanien an einem Herzinfarkt. Er war drei Mal verheiratet und Vater von 4 Kindern (Sohn John kam 1956 im Alter von 6 Jahren bei einem Autounfall auf tragische Weise ums Leben). 2018 wurde sein Leben fürs Kino verfilmt, die Hauptrolle spielte David Kross.
Foto: In der 75.Minute des FA-Cup-Endspiels 1956 wirft sich „Bert“ Trautmann (links) dem Birminghamer Stürmer Peter Murphy entgegen und zieht sich dabei einen Genickbruch zu – trotzdem hält er bis zum Ende durch. (Foto aus dem Buch von Catrine Clay: “Trautmann’s journey – from Hitler Youth to FA Cup legend“, Seite 244 f.)
Norbert Voshaar [Lit.: Catrine Clay: “Trautmann’s journey – from Hitler Youth to FA Cup legend“ (2010) / Kicker-Almanach 2023 (2022) / Wikipedia]