Vor 125 Jahren:
Sepp Herberger, Bundestrainer beim „Wunder von Bern“, geboren
Am 28. März 1897 wurde er in Mannheim geboren, am 28. März 2022 wäre er 125 Jahre alt geworden: Josef „Sepp“ Herberger, Bundestrainer beim „Wunder von Bern“, als die deutsche Fußballnationalelf am 4. Juli 1954 durch einen sensationellen 3:2-Sieg über die seit vier Jahren ungeschlagene ungarische Mannschaft um Ferenc Puskas den WM-Titel holte. Doch bis zu diesem größten Moment in seinem Fußballer- und Trainerleben war es ein weiter Weg. Als jüngstes der sechs Kinder von Lina und Josef Herberger Senior verlor „Sepp“ bereits im Alter von 12 Jahren seinen Vater. Mit 14 Jahren musste er – trotz sehr guter Leistungen – die Schule verlassen, um als Hilfsarbeiter seinen Lebensunterhalt zu verdienen und seine Mutter zu unterstützen.
Von 1916 bis 1918 nahm er als Soldat am 1. Weltkrieg teil, nach dem Krieg konnte er sich wieder dem Fußballspielen beim SV Waldhof-Mannheim widmen. Sein erstes Länderspiel machte er 1921 als Waldhof-Spieler, zwei weitere folgten als Spieler des VfR Mannheim. Von 1926 bis 1930 spielte Sepp Herberger für Tennis Borussia Berlin, wobei er ab 1927 gleichzeitig Sport studierte (wegen des fehlenden Abiturs erhielt er dafür eine Sondergenehmigung). Das Studium schloss er 1930 als Jahrgangsbester ab. Zwei Jahre später übernahm er den Posten des Verbandssportlehrers beim Westdeutschen Spielverband. 1934 wurde er Assistent von Reichstrainer Otto Nerz, nach dem frühen Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin kam seine Chance, und er wurde Nachfolger von Nerz.
Für die nächste WM, die im Juni 1938 in Frankreich stattfinden sollte, machten die Nationalsozialisten, die 1933 an die Macht gekommen waren und den gesamten deutschen Sport umgehend gleichgeschaltet hatten, Druck: Die Schmach des frühen Ausscheidens bei Olympia 1936 sollte unbedingt getilgt werden, dazu wurde Sepp Herberger vorgegeben, auch Spieler aus dem im März 1938 an das Deutsche Reich angeschlossenen Österreich in die Nationalmannschaft einzubauen. Die „großdeutsche“ Auswahl aus Deutschen und Österreichern passte jedoch nicht zusammen und schied in der ersten Runde gegen die Schweiz aus (Weltmeister wurde, wie schon 1934, Italien).
Ein Jahr später, am 1. September 1939, löste der deutsche Überfall auf Polen den 2. Weltkrieg aus, trotzdem rollte der Ball zunächst weiter: Noch bis November 1942 trug man Länderspiele aus, um die Deutsche Meisterschaft spielte man sogar noch bis zum Sommer 1944. Dieses Aufrechterhalten des Fußballbetriebs dürfte – ähnlich wie Soldatensender, Fronttheater oder UFA-Filme – auch dem Zweck gedient haben, Normalität vorzutäuschen, Illusionen zu erhalten und die Bevölkerung von Krieg und Not abzulenken.
Sepp Herberger, seit Mai 1933 NSDAP-Mitglied, blieb im Amt und versuchte, zu seinen Nationalspielern, von denen die meisten inzwischen Soldat waren, Kontakt zu halten und sie möglichst vor Fronteinsätzen zu bewahren, indem er sie weiterhin zu Lehrgängen und Trainingslagern einlud. Als das nicht mehr möglich war, hielt er zeitweise an deutschen Militärstandorten (beispielsweise in Dänemark und Norwegen) Vorträge zum Thema Fußball, die bei den Soldaten auf großes Interesse stießen.
Nach Ende des verheerenden 2. Weltkrieges im Mai 1945 betreute Sepp Herberger, der bei seinem Entnazifizierungsverfahren in die Kategorie „Mitläufer“ eingestuft worden war, zunächst verschiedene Vereine. 1947 wurde er Dozent an der Sporthochschule Köln, 1949 übernahm er beim wiedergegründeten DFB die Bundestrainerposition. Zur WM 1950 in Brasilien (Sieger: Uruguay) war Deutschland noch nicht wieder zugelassen, der Aufbau einer Mannschaft für die WM 1954 in der Schweiz war daher nun Sepp Herbergers Hauptaufgabe. Sein verlängerter Arm in dieser Mannschaft war der Kaiserslauterer Kapitän Fritz Walter, den er bereits 1940 als Neunzehnjährigen zum Nationalspieler gemacht hatte.
Sepp Herberger setzte auf einen Block aus insgesamt fünf Spielern des 1. FC Kaiserslautern, der 1951 und 1953 deutscher Meister geworden war, im WM-Jahr 1954 aber das deutsche Endspiel gegen Hannover 96 – nicht einmal vier Wochen vor dem WM-Start – hoch mit 1:5 verloren hatte. Trotz aller in der Öffentlichkeit aufkommenden Skepsis hielt Sepp Herberger an seinem Lauterer Gerüst fest, und die Mannschaft dankte es ihm, indem sie im WM-Auftaktspiel die Türkei mit 4:1 schlug. Nächster Gruppengegner war WM-Favorit Ungarn. Sepp Herberger baute für dieses Spiel seine Mannschaft kräftig um und schonte diverse Stammspieler. Folge: Das Spiel ging mit 3:8 verloren, Presse und Fans sparten nicht mit Kritik. Der damalige Modus sah nun – wie es Herberger einkalkuliert hatte – ein Entscheidungsspiel um den Einzug ins Viertelfinale gegen die Türkei vor, gegen die man ja bereits gespielt hatte. Herberger baute nun wieder auf die Stammspieler und man gewann mit 7:2. Im anschließenden Viertelfinale schlug man Jugoslawien mit 2:0, es folgte im Halbfinale ein glanzvolles 6:1 gegen Österreich. Damit stand erstmals eine deutsche Elf in einem WM-Finale! Durch ein 3:1 über Titelverteidiger Uruguay qualifizierte sich Ungarn als zweites Team für das Endspiel.
Im Finale am 4. Juli 1954 führten die Ungarn, als klarer Favorit ins Spiel gegangen und aufgrund ihres Kantersieges gegen die Deutschen in der Vorrunde vielleicht etwas zu selbstsicher, bereits nach acht Minuten mit 2:0. Innerhalb von zehn Minuten schaffte die deutsche Elf jedoch den 2:2-Ausgleich – kein Vergleich zum 3:8 aus der Vorrunde! Nach großem Kampf schoss schließlich Helmut Rahn in der 84. Minute den Siegtreffer zum 3:2 für das deutsche Team. Der Jubel über den Weltmeistertitel kannte in Deutschland, wo die Bevölkerung nach dem verlorenen Krieg nach Erfolg und Anerkennung förmlich lechzte, keine Grenzen! Sepp Herberger durfte sich dabei als Vater des Erfolges feiern lassen.
Auf dem Höhepunkt seiner Trainerlaufbahn zurückzutreten, kam für ihn jedoch nicht in Frage. Bei zwei weiteren Weltmeisterschaften betreute Sepp Herberger das deutsche Team noch: 1958 in Schweden wurde man Vierter, 1962 in Chile war im Viertelfinale Schluss. Erst 1964, ein Jahr nach Start der Bundesliga, für deren Einführung er sich jahrelang eingesetzt hatte, übergab Sepp Herberger schließlich den Stab an seinen Assistenten Helmut Schön.
Am 28. April 1977 verstarb Sepp Herberger, der das Fußballgeschehen bis zuletzt intensiv verfolgt hatte, im Alter von 80 Jahren an einem Herzanfall. Seine allgemeingültigen Fußball-Weisheiten wie „der Ball ist rund“, „nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, „ein Spiel dauert 90 Minuten“ oder auch „das nächste Spiel ist immer das schwerste“, kennt noch heute jeder Fußballfreund.
Norbert Voshaar [Lit.: J. Leinemann: „Sepp Herberger – Ein Leben, eine Legende“ (2000) / A. Kehl: „`Ich war ein Besessener…´- Sepp Herberger in Bildern und Dokumenten“ (1997) / N. Voshaar: „Die Entwicklung des Fußballsports und seiner Bedeutung für Spieler und Zuschauer – Eine sozialwissenschaftliche Analyse“ (1989) / Wikipedia]